Heute vor 70 Jahren, am 23. Mai 1949, hat sich das deutsche Volk ein Grundgesetz gegeben. Diese Regeln definieren, wie Menschen in meinem Heimatland zusammenleben, miteinander umgehen, was sie dürfen, was sie nicht dürfen. Es gibt nur wenige Worte, die so mächtig sind. Aus diesem Grund habe ich mir in der Wortfinderei die ersten 19 Artikel, die Grundrechte, genauer angeschaut. Das Finale: Artikel 16 bis 19 und viele Tipps für mehr Input.

Nachdem in den ersten 15 Artikeln natürlich Bezug auf die Menschen genommen wird, für die sie gelten sollen – die Deutschen –, definiert Artikel 16 nun, was es mit der Staatsbürgerschaft auf sich hat.

Artikel 16

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.
(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

Wer einmal deutscher Staatsbürger ist, kann diesen Status nicht mehr verlieren, sagt der erste Satz des Artikels. Doch ganz so unkündbar wollten die Autoren des Grundgesetzes diesen Vertrag doch nicht gestalten. Deshalb gibt der zweite Satz Ausnahmeregelungen vor. Gesetzliche Regelungen können eben doch dazu führen, dass die Staatsbürgerschaft entzogen wird, unter der Voraussetzung, dass dieser dann nicht staatenlos wird. Allerdings ist das kein Freibrief, Verbrechen im Ausland zu begehen. Für die wird man dan einfach in Deutschland belangt.

Mit der Staatsbürgerschaft gelten alle Rechte und Pflichten, die uns die Gesetze vorgeben. Sie schützt aber auch davor, in ein anderes Land ausgeliefert zu werden, wie Absatz zwei ausführt. Deutschland liefert keinen Deutschen aus, außer, und auch hier gibt es wieder Ausnahmebestimmungen, ein Gesetz sagt etwas anderes. So stark die jeweils ersten Sätze der Absätze klingen, so schwammig werden sie durch die jeweiligen Zusätze.

Wie Deutschland mit Asylsuchenden umgeht, wird im Zusatzartikel 16a beschrieben. Dabei ist die Fußnote einiger Beachtung wert. Denn die Einschränkung des Asylrechtes passierte nicht mit Veröffentlichung des Grundgesetzes, sondern erst in den 90ern, als Deutschland die erste große Flüchtlingswelle aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa erlebte. Ein Artikel, der viel Sprengstoff beinhaltet.

Artikel 16a

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

 

Fußnote

Art. 16a: Eingef. durch Art. 1 Nr. 2 G v. 28.6.1993 I 1002 mWv 30.6.1993; mit Art. 79 Abs. 3 GG (100-1) vereinbar gem. BVerfGE v. 14.5.1996 I 952 (2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93)

16a ist sicher der Artikel, der im Rahmen der Flüchlingskrise am häufigsten zitiert wurde. Danach hat Recht auf Asyl, wer begründet politisch verfolgt wird und nicht aus einem Land kommt, das per Gesetz als sogenanntes sicheres Herkunftsland definiert wurde. Wer genau ist politisch verfolgt? Das können Menschen sein, die aufgrund ihres Glaubens, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer politischen Einstellung von der Regierung ihres Heimatlandes bedroht werden. Wobei es natürlich nicht so einfach ist, seine sexuelle Orientierung oder seinen Glauben zu beweisen.

Welche Länder auf dieser Liste landen, die vom Bundesrat abgesegnet werden muss, steht seit Jahren in herber Kritik. Was bedeutet denn sicher? Wie kann sichergestellt werden, dass eine Person nicht politisch verfolgt wird? Dafür schauen sich die Gesetzgeber nach Absatz 3 die Rechtslage, die Rechtsanwendung – also wie das geltende Recht ausgelegt wird – und die politischen Verhältnisse an.

Dass sich diese Liste immer wieder verändert, ist selbstverständlich. Und auch ihr Zweck ist leicht nachvollziehbar. Asylanträge können schneller bearbeitet werden, wenn die Fälle von Antragsstellern aus diesen als sicher eingestuften Ländern nicht mehr genau angeschaut werden müssen. Sie können trotzdem Anträge stellen und versuchen, ihre Lage zu begründen. Die Beweislast wird also umgekehrt. Wenn ihnen das nicht gelingt, kann der Staat sehr schnell die sogenannten aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vollziehen, sprich: abschieben.

Dazu kommt die Einschränkung des Rechtes nach Absatz 2: Kein Recht auf Asyl hat, wer aus einem europäischen Staat oder einem Drittstaat, in dem die europäischen Menschenrechtskonvention gilt, einreist. Denn hier, so legt das Gesetz fest, ist sichergestellt, dass Menschen nicht politisch verfolgt werden.

Absatz 4 hat dabei eine interessante Formulierung: Eine Abschiebung nach Absatz 3 darf gerichtlich nur ausgesetzt werden, wenn an der Rechtmäßigkeit gezweifelt wird. Dabe wird betont, dass die Grundlage für Absatz 4 Fälle „des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten“ sind. Wenn Anträge es allerdings so offensichtlich ist, dass Anträge unbegründet sind, wie kann die Maßnahme dann rechtswidrig sein? Der Asylbewerber muss also beweisen, dass in seinem Fall eine falsche Entscheidung getroffen wurde.

Der 5. Absatz stellt die Verbindung zu den Abkommen innerhalb der EU und deren Partnern her, die ebenfalls klare Aussagen zur Asylpolitik definieren. Diese Regelungen dürfen einander nicht widersprechen.

 

Artikel 17

Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.

Ein Grundrecht, von dem viel zu wenige Menschen Gebrauch machen. Gerade die Mitglieder des Bundestages, die unsere direkten Vertreter sind, sollten auch von den Bürgern angesprochen werden, wenn es um Entscheidungen in diesem Gremium geht. Sie haben oft gut besetzte Büros in ihren Heimatwahlkreisen und direkt in Berlin, an die man sich mit Fragen, Beschwerden und Bitten wenden kann. Das geht heute per Mail natürlich viel einfacher als noch vor Jahren.

Die gewählten Politiker sind Volksvertreter und in ihr Amt gewählt, um die Wünsche des Volkes zu vertreten. Das können sie besser, wenn sie die Meinung auch hören, lesen, erhalten. Und für die Wähler ist dieses Recht eine gute Stellschraube, um zu prüfen, ob der gewählte Volksvertreter auch zuhört, was die Bevölkerung sagt.

Artikel 17a

(1) Gesetze über Wehrdienst und Ersatzdienst können bestimmen, daß für die Angehörigen der Streitkräfte und des Ersatzdienstes während der Zeit des Wehr- oder Ersatzdienstes das Grundrecht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz), das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Artikel 8) und das Petitionsrecht (Artikel 17), soweit es das Recht gewährt, Bitten oder Beschwerden in Gemeinschaft mit anderen vorzubringen, eingeschränkt werden.
(2) Gesetze, die der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung dienen, können bestimmen, daß die Grundrechte der Freizügigkeit (Artikel 11) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13) eingeschränkt werden.

Die letzten drei Artikel der Grundrechte beschäftigen sich mit Möglichkeiten, diese einzuschränken. Eigentlich sollten alle Grundrechte für alle deutschen Staatsbürger gelten. Doch schon Artikel 17a macht deutlich, dass alle, die im Wehrdienst oder einem Ersatzdienst sind, eine besondere Position einnehmen. Ihre Grundrechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, das Petitionsrecht, die Freizügigkeit und die Unverletzlichkeit der Wohnung können staatlich eingeschränkt werden.

 

Artikel 18

Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.

Da laut Präambel das Volk sich selbst diese Grundrechte gegeben hat, braucht es auch eine Bestimmung, was mit Menschen passiert, die ihre Grundrechte missbrauchen. Mit Missbrauch ist laut Artikel 18 gemeint, dass sie die Demokratie bekämpfen. In dem Fall kann das Bundesverfassungsgericht Grundrechte einschränken oder ganz entziehen. Interessant an diesem Artikel ist, dass die vorher definierten Rechte hier als illegal gedeutet werden, sobald sie sich gegen die Demokratie richten. So wird etwas Legales plötzlich illegal, ein schwieriges Konstrukt, dass bisher auch noch nie angewendet wurde.

 

Art 19

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Der abschließende Artikel der Grundrechte beschäftigt sich mit der Durchsetzung dieser Grundrechte. So darf ein Grundrecht nur eingeschränkt werden, wenn es gesetzlich bestimmt für alle und nicht für einzelne gilt. Das Recht auf Versammlungsfreiheit in der Bannmeile vor dem deutschen Bundestag beispielsweise ist für alle Bürger eingeschränkt. Die Versammlungsfreiheit als solche wird, wie Absatz 2 festlegt, damit allerdings nicht verändert.

Essenziell finde ich hier den Absatz, dass die Grundrechte auch für juristische Personen gelten, also nicht zwangsläufig nur Menschen, sondern auch Vereine, AGs, Genossenschaften und ähnliche.

Darüber hinaus zeigt Absatz 4 auf, wie Menschen ihre Rechte geltend machen können, nämlich über den Rechtsweg, ein Gericht. Wobei hier die Einschränkung aus Artikel 10 – dem Briefgeheimnis – angewendet wird.

Mehr zum Thema Grundgesetz gibt es hier:

Ausführlich setzt sich der Podcast „In guter Verfassung“ von detektor.fm mit dem Grundgesetz auseinander. Jede Episode nimmt sich einen Artikel vor, die beiden Moderatoren haben sich also ein riesiges Stück Arbeit vorgenommen. Angereichert mit Experten, die die Artikel erklären und Definitionen liefern, ist dieses Stück Ohrenschmaus eine sehr spannende Auseinandersetzung mit diesem sonst so trockenen Thema.

„In guter Verfassung“

Was Menschen in Deutschland zu den einzelnen Artikeln des Grundgesetzes denken, damit hat sich das Deutschlandradio in den vergangenen Wochen beschäftigt. Tolle Stimmen, an denen man sich auch gut reiben kann. Sehr hörenswert.

„Mein Grundgesetz“

Einen interessanten Blick auf das Grundgesetz bietet die „Zeit“-Kolumne von Mely Kiyak. Sie beschäftigt sich mit Verdrängungsmechanismen der Nachkriegszeit und damit, wie die Deutschen auf das Grundgesetz reagiert haben.

„Die Summe aus Schmerz, Scham und Schuld“

In „Jung & naiv“ sprechen Hans Jessen und Tilo Jung mit Katja Kipping, Parteivorsitzender der Linken, Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, Luisa Neubauer von Fridays For Future und Albrecht von Lucke von Blätter für deutsche & internationale Politik über das Grundgesetz. 

„Live im BaseCamp“

Habt ihr mehr Input zum Thema? Immer her damit, dann ergänze ich die Liste gern.

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