Ob ich für meine Volontäre früher Artikel korrigiert und kommentiert habe oder heute für meine Kunden Texte bearbeite, die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Anzahl der Worte stark minimiert, ist hoch. Mein Rotstift kommt oft zum Einsatz und ist stets gut gespitzt. Klare Aussagen, knackige Sätze, das macht starke Texte aus.

„Man merkt, dass du aus der Literatur kommst“, hat eine meiner Ausbilderinnen im Volontariat zu meinem ersten Text in der neuen Redaktion gesagt. „Jetzt streich mal die ganze Poesie raus und mach daraus einen guten Bericht.“ Bäm, das hat gesessen. Und ich war so stolz auf meine verschwurbelten, poetischen Satzkonstruktionen gewesen.

Ihre Stimme höre ich heute noch im Kopf, wenn ich an Texten arbeite. Ist das Wort überflüssig? Kann ich das besser auf den Punkt bringen? Braucht es diesen Nebensatz für die Aussage? Die Kunst im Nachrichtenjournalismus ist es, Aussagen greifbar zu formulieren. Verständlich. Ohne großes Drumherum. Das wichtigste zuerst, von hinten kürzbar.

Wirklich überflüssig?

Auf der anderen Seite habe ich während meiner Zeit in der Lokalzeitung auch gelernt, wie man aus einer Mücke einen Elefanten macht. Damit meine ich nicht, eine Nicht-Nachricht zu dramatisieren. Das passiert ja leider viel zu oft. Interessiert uns wirklich, welche Farbe der Badeanzug von Prinz Harrys Partnerin hat? Müsen wir seitenweise Text darüber produzieren, was Trump gerade wieder twittert? Nachrichtenwert gleich Null.. Was ich meine ist aber, aus wenigen Informationen eine große lesbare Geschichte zu machen, alles aus den wenigen Schnipseln herauszukitzeln. Zum Beispiel, wenn auf Seite 10 ein Aufmachertext fehlt, der Tag sich dem Ende neigt und nur noch die Meldung vom Gesangsverein XY im Postfach liegt. Nachrichtenwert im lokalen Bereich durchaus da, aber eigentlich kein großes Thema. Könnte man gut auch in einer Randspalte bringen. Aber einen Anruf später und mit vielen Füllworten und leeren Floskeln verziert wird aus der Randspalte ein 4000-Zeichen-langer Klopper. Da sind die überflüssigen Worte, die sonst radikal gestrichen werden, plötzlich Gold wert.

In literarischen Texten kann man mit beiden Methoden arbeiten. Aber manchmal ist es genau dieser Versuch ins Detail zu gehen, der Autoren dazu bringt, sich zu verrennen. Sie verlieren sich in ausführlichen Beschreibungen dessen, was ihre Charaktere beobachten, sehen, fühlen, ohne dass diese Beobachtung einen wirklichen Beitrag zur Handlung bietet. Später ist es schwer, sich von den liebevoll gesetzten Worten zu trennen. Doch wenn man es schafft, diese Angst zu überwinden und zu verstehen, dass Texte durch mutige Bearbeitung besser werden, fängt der professionelle Umgang mit den Worten an. Sie sind ein Rohstoff, der durch Bearbeitung erst seinen wahren Glanz entfaltet.

Innerer Schweinehund vs. Mut zum Rotstift

Nach den ersten heruntergeschluckten Wutanfällen und Tränen in meiner Zeit als Volontärin, aber auch als Jungredakteurin, wenn mich die Kritik meiner Kollegen mal wieder auf den Boden geworfen hat, fiel dieser Groschen bei mir. Ich bin ihnen dankbar dafür, dass sie so ehrlich und konstruktiv waren. Und ich hoffe, dass ich auch ein paar meiner Volos zeigen konnte, dass der Rotstift keine Kritik an der eigenen Person sondern der Versuch ist, gemeinsam die eigenen Fähigkeiten zu erweitern. Heute ist der Part nach dem Schreiben, der Arbeitschritt, in dem ich meine Texte auf Herz und Nieren prüfe, jedes Wort hinterfrage, großzügig streiche und neue Wendungen finde, mein liebster. Denn was dabei herauskommt, lohnt sich.

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